Ausweg aus der Kommunikationskrise


Gibt es einen Ausweg aus der Glaubwürdigkeits-Krise? 

 

Wir sind am Ende. Wir vertrauen uns nicht mehr, wir glauben niemandem mehr. 

Die Welt und die Kommunikation über unsere Welt wird zu einer scheinbar übermächtigen Ansammlung an „Fakes“: Lügen, Betrügen, Scheinwelten! „Fakes“ statt „Fakten“. Nichts scheint mehr real. Nichts mehr glaubwürdig. Unser gemeinsames kommunikatives Verständnis der Dinge ist verloren gegangen: der gemeinsame Nenner. Was klingt wie eine lapidare Nebensächlichkeit, ist letztlich die Implosion unsere Gesellschaft, in Politik, Wirtschaft wie Kultur: eine Glaubwürdigkeits-Katastrophe gefährlicher wie jede Naturgewalt. Zur Rettung brauchen wir dringlich einen neuen Pakt: Credo – den neuen Konsens über Ziele, Visionen & Werte! Und der kommt nicht „von oben“, sondern von uns selbst. Im Miteinander!

Kolumne von Stefan Endrös


Wir sind kurz vor der Katastrophe

Unsere Sprache verroht – überall: zuerst auf Facebook und Twitter, wo die sozialen Werte durch die vermeintliche Anonymität durcheinander geraten sind, aber auch in den Kommentarspalten der Medien, in geschlossenen WhatsApp-Gruppen. In unseren Diskussionen mit Freunden und Mitmenschen. Meinungen werden nicht mehr abgewogen, überlegt und vermittelt, sondern verkauft, Argumente und Fakten nicht mehr interessiert ausgetauscht, sondern tendenziös gesucht und eingesetzt.

Wenn die Sprache verroht, verroht auch das gesellschaftliche Klima, der Konsens, letztlich unsere ganze Realität. Denn wenn für uns Menschen Wirklichkeit ist, was formuliert und somit für das Gehirn greifbar gemacht werden kann, wird auch die Realität der Dinge verrohen. Das gemeinsame Verständnis. Unser Dasein zerfällt in subjektive Einzel-Phänomene. Keiner glaubt mehr dem anderen, weil die Sicht und Interpretation der Dinge zu weit auseinander driftet, dass der gemeinsame Nenner entfällt. Weil jeder etwas anderes unter der scheinbar gleichen Sache versteht. Weil sich jeder ein anderes, scheinbar „wahres“, richtiges Bild macht, doch die Bilder kaum unterschiedlicher sein können in der jeweiligen Wahrnehmung.

 

Phänomenologie der Fakten

Die verrohte Realität findet keine Basis mehr in der faktischen Beurteilung der Dinge: Objektiv, was ist das? Ist es Naturwissenschaft? Ist es Meinung oder Tatsache? Wenn ich mir einen Stuhl anschaue, ist es ein Stuhl, ein Stück Holz, oder ein Ruheort? Oder eine Einladung zum Essen? Oder die Aufforderung, sich endlich still hinzusetzen? Wenn ich mir ein wissenschaftliches Forschungsergebnis anschaue, ist es eine Bestätigung meiner Meinung, ein Widerspruch, ein bewusst ausgewähltes Argument – oder boshafte Tatsachen-Interpretation von „anderen“?

Sogenannte „Tatsachen“ werden gefühlt zum Spielball der Anschauungen.

Die einen benutzen den Stuhl für Diskussionsrunden, um die Welt zu retten, die anderen brauchen das Stuhlbein als mögliches Schlaginstrument. Oder sehen das Konstrukt als überflüssiges Teil, das im Weg steht. Es gibt keine gemeinsame Basis mehr. Der einheitliche Blick auf die Dinge entfällt.

 

Kein Thema wird boshafter, mißgünstiger diskutiert wie das Thema Klima. Hochkarätige Expertenmeinungen, Studien und Wissenschaftserkenntnisse werden beliebig gegeneinander ausgespielt. Je höher der Wissensstand, desto überzeugter der Standpunkt: Eingriff in die Freiheit, Humbug, Fehlinterpretation versus Klimawandel, Notwendigkeit der Regulation und Rettung unserer Zukunft. Die Fronten stehen sich unversöhnlich gegenüber – auf höchstem Diskussionsniveau. Oder Migration, Flüchtlinge, Globalisierung ...

 

Wenn wir den erlebbaren, kommunikativen Konsens und damit die Möglichkeit auf ein einheitliches Verständnis auf die Dinge verlassen, wird unsere Gesellschaft in sich implodieren. Es gibt diversifizierende Gruppen, die sich untereinander bestätigen und dem Gegenüber nur noch misstrauen. Es gibt Medien, die entweder nach eigenem „Gusto“ berichten, oder denen man unterstellt, dass sie es täten. Es gibt wachsende Communities, die sich lieber gleich eine ganz eigene Welt und Realität erzeugen.

 

Wie sollen wir uns und unser Leben und unsere Welt verstehen, wenn sich all unsere Tatsachen und Fakten phänomenologisch auflösen? Wenn es keine „Wahrheit“, keinen Gleichklang, keinen Pakt mehr gibt. Keine „Authorität“ auf die Sicht der Dinge. Die Realität und das Verständnis der Realität zerlegt sich ­in Abermillionen Teilchen-Partikeln aus Worten, Aussagen, News, Informationen und Bildern. Unsere persönliche Wahrnehmung wird in sensorische Einzelteile aufgespalten: Augen, Ohren, Gefühle. Was wir unter der Rezeption verstehen, wird zur Interpretation, zu Info-Bruchteilen am Computer, kurzen Zeichen am Handy, „Messages“ in WhatsApps oder in E-Mails.

 

Die digitale Realität

Wir verlieren die gemeinsame (Gesprächs-)Basis. Sollen wir alle zum Computer mutieren, wenn die Welt zu einer Aneinanderreihung von Binär-Codes darstellbar wird? Die technische 01-Codierung kreiert in ihrer digitalen Aufrasterung scheinbar neue Hyper-Realitäten – Realitäten, besser wie sie jedes menschliche Sinnesorgan je aufnehmen könnte. Besser wie die menschlichen Aufnahme-Fähigkeiten. Werden neue „Tatsachen“ geschaffen, denen wir als Menschen eh nicht mehr standhalten können? Geschweige denn, sie überprüfen können. Oder glauben?

Angesichts dieser unzähligen, virtuellen „Scheinwelten“ zerfällt die Welt – inhaltlich und technisch - zunehmend in einzelne Miniatur-„Cyberwelten“, in Community-unterteilte Individual-Realitäten: Infos und Daten werden je nach Interessen und Perspektiven manipuliert, optimiert, technisch präzisiert. Zurück bleiben wir Menschen, gefangen in einem System, dem wir nicht mehr gewachsen sind. Denn wenn alles so perfekt ist, perfekt individualisiert, perfekt aufbereitet, perfekt angepasst, wird die Perfektion zur Bedrohung.

 

Und so verlangen die neuen digitalen Realitäten von uns eine Optimierung unserer menschlichen Sinne, die wir gar nicht leisten können. Tatschen werden zu Phänomenen, die wir nur noch als Interpretation kennen, die Wirklichkeit wird zu einer technisch-automatisierten Vision, einem Geradebiegen der Realität, quasi deren zurechtgerückte Neukonstruktion, die uns überfordert. Es bleibt nur noch Misstrauen. Gegenüber allem, was man sieht, hört, spricht, fühlt, empfindet, versteht. Der Verlust der Versteh- und Realitäts-Basis: unterschiedlichste Wirklichkeiten. Bei jedem einzelnen von uns.

 

Auf diese Weise rasen wir schnurstracks in eine riesige Glaubwürdigkeits-Katastrophe. Die alles zersprengt. Die uns und unsere Wirklichkeit in Einzelteile, Scherben und  Splitter zersprengt. Denn wenn es kein einendes (Glaubens)-Band mehr gibt, wenn es keine gemeinsame Realität oder Vorstellung davon mehr gibt, dann ist das Ausmaß der Katastrophe schlimmer wieder jede Naturgewalt: alles zerlegt sich in Einzelteile. Hoffnungslos, verbindungslos, toxisch.

 

Die Wiederentdeckung des Seins

Gibt es einen Ausweg, der realistisch ist? Oder hat die Krise uns schon zerlegt?
In rohe Sprache, auseinander treibende Fakten-Interpretationen und sich bekämpfende Ego-Gruppen inmitten undurchschaubarer digitaler Realitäten? Es hilft vermutlich nur eines: Wir müssen es schaffen, uns wieder auf Fundamente und gemeinsame „Zeichen“ zu verständigen. Wir müssen bei Null anfangen. Beim Nullpunkt. Die Augen schließen und uns der Dinge besinnen, die uns wirklich wichtig sind.

 

Gibt es einheitliche Wahrheiten? Gibt es gemeinsame Ziele, Träume, Visionen. Auf welche Sicht der „Fakten“ können wir uns einigen. Wie über das Gleiche sprechen? Wir brauchen ein neues „Credo“, einen neuen Kommunikationspakt: miteinander, nicht „von oben“. Auf Augenhöhe miteinander entwickelt und gegenseitig bestätigt.

 

Er kann nur auf Werten beruhen wie Respekt, Achtung, Ehrlichkeit, Zuhören ...

Und uns dem großen menschlichen gemeinsam „Sein“ ein bisschen näher bringen. Vielleicht haben wir dann noch eine Chance.

 

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